Stadtarchiv Hilden, Rheinisches Volksblatt vom 24. September 1915

Notprüfungen für Oberprimaner bzw. Abiturienten höherer Schulen beibehalten oder abschaffen?

Hilden, 24. Sept. Gegenwärtig sind im Kultusministerium Erwägungen im Gange, ob man die Notprüfungen für Oberprimaner bzw. Abiturienten höherer Schulen beibehalten oder das ganze System der Notprüfungen abschaffen soll. Diese Erwägungen sind veranlaßt durch die Erfahrung, daß die alsdann als Kriegsfreiwillige sich meldenden Notabiturienten wenig kriegstüchtig und meistens körperlich noch nicht entwickelt genug sind, um die Strapazen eines Stellungskrieges wie wir ihn zurzeit im Westen führen, aushalten zu können. Ein weiteres Bedenken geht dahin, daß durch die vorzeitige Einstellung von jungen Leuten als Kriegsfreiwillige der künftige Ersatz unseres Heeres zu sehr geschwächt werden könnte und daß auch nach Friedensschluß noch Soldaten gebraucht werden. Deshalb ist die Mehrzahl der Regimenter schon dazu übergegangen, Kriegsfreiwillige nicht mehr anzunehmen. Für die preußische Unterrichtsverwaltung wird die Frage der Notreifeprüfungen jetzt insofern brennend, als eine Entscheidung darüber getroffen werden muß, ob diejenigen Primaner, die zu Oktober d. J. nach Oberprima versetzt werden, schon im Dezember zur Notreifeprüfung zugelassen werden sollen. Vorläufig ist noch keine Entschließung ergangen, weil man sich der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Frage für viele Eltern und Schüler nicht verschließen kann und eine vielbenutzte Kriegseinrichtung nicht leichterhand abschaffen möchte, die unseren Armeen Zehntausende von jungen Offizieren und tüchtigen, intelligenten Soldaten zugeführt hat. Wie die Entscheidung auch fallen möge, jedenfalls darf man die Erwartung aussprechen, daß die Notreifeprüfungen für diejenigen jungen Leute erhalten bleiben, die infolge der Einberufung ihres Jahrganges in das Heer eingestellt werden.