Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 12. November 1914

Ein Soldatenbrief aus dem Schützengraben von der belgischen Front in Dixmuide an der Yser.

                           Kriegsbriefe
   Ein 17jähriger Freiwilliger aus Solingen, der mit
vor Dixmuiden liegt,schreibt an Solinger Freunde diesen
brillanten Brief:

                      Vor Dixmuiden, Sonntag, den 1. November 1914
                               Meine liebe….!
   Sonntag im Schützengraben! Danach noch glückselige Nachrichten
aus der Heimat, gespickt mit süßen  Liebesgaben von der …, das ist
direkt wunderbar,köstlich, brillant und was es noch alles für schöne
Ausdrücke gibt. Meinen besten Dank für alle die herrlichen Sachen.
Dazu flucht Willy, der vorgestern die Knöpfe erhalten hat, daß für
ihn nichts dabei war.   Die Feuertaufe haben wir schon dreimal erhalten, und das
nicht ohne; ich sage Dir, das war ein Wetter mit Eisen und Feuer!
Die Granaten platzten links und rechts und die Gewehrkugeln pfiffen
uns nur so den Todesgruß, und doch sind wir alle drei heil und gesund
aus der Schlacht zurückehrt. Wie wir heil herausgekommen sind,
weiß ich nicht. Auf jeden Fall haben wir wieder saumäßiges ,,Schwein’’
gehabt.
   Einen Sturm zu schildern, würde vielleicht zu grausam sein.
So gut wie eben möglich suchten wir uns in einem verlassenen
Schützengraben häuslich einzurichten, nachdem wir nach drei nächt-
lichen Stürmen die Ruhe wohlverdient hatten. Drüben aus dem zer-
schossenen, verlassenen Dorfe suchen wir eine Tür. Wir finden aus-
geräumte Schränke auf der Straße liegen. Herrenlos laufen die
Schweine mit 8 bis 10 jungen Ferkeln herum. Die Pferde ohne Zügel
nehmen ihre Freiheit auf der Wiese wohl wahr. Die Kühe und Ziegen
haben wir losgekettet, sonst wären sie verhungert. Sie nagen das
Grüne von den Wasserüben und Runkeln ab. Eine Ziege begleitet
uns bis zum Schützengraben. Einzelne alte Bauern, die ihr Heim
nicht verlassen haben, ziehen die Mütze und gehen  schweigend und
gebückten Hauptes ihres Weges. Manche laden uns zu einem
,,Köppker Kaffee’’ ein.
   Die Nacht bricht an. Langsam, mit Stroh beladen, ziehen wir
durch ein abgebranntes Dorf. Eisiger Wind bläst über die Aecker und
Stätten der Vernichtung. Da ein leises Grollen in der Ferne, über-
tönt von unseren eigenen Geschützen, von einem Sausen in der Luft –
ein Aufschlag, da ein Platzen vor uns, hinter und neben uns…
Ruhig gehen wir weiter. Die Granaten machen uns nicht bange; wir
wissen: es gibt viele Blindgänger. Die Wüste hüllt der rote
Abend in ein Nebelbett ein. Aber fort tönt das Sausen in der Luft.
Vor uns brennt die Stadt, rot leuchten die leeren Fenster der Kirche
zu uns herüber. Schreckliche Bilder!
   Die Vorpostenwache zieht auf. Den Kragen hochgeschlagen, das
Seitengewehr aufgepflanzt, warten wir 2 Stunden im Schützengraben
und spähen nach vorne. Ein plötzliches Gewehrfeuer überschüttet uns.
Planlos, ziellos, –  nur Zufallstreffer. Wir erwidern nicht, um
unsere Stellung nicht zu verraten. Der Morgen dämmert endlich
Frierend kriechen wir aus den Höhlen und laben uns an den trockenen
Brot und wohl auch am Kaffee. Die Schrift wirst du entschuldigen,
wenn Du den ,,Ort der Handlung’’ betrachtest.
                                                                                Dein . . . . . .