Stadtarchiv Düsseldorf, “Tagebuch Willy Spatz” 1914-1919. 0-1-23-48.0000
Alle Scans zum Tagebucheintrag vom 22. April 1915
Willy Spatz (1861-1931) war Professor an der Kunstakademie Düsseldorf.
Donnerstag, den 22. April.
Gestern schloß ich damit, daß ich auf dem Bechstein-Flügel vierhändig gespielt hätte. Aber nicht immer hatte mir das Instrument zur Verfügung gestanden. Vom Vorstand hatte ich die Bewilligung zur Benutzung des Klaviers erhalten, den Schlüßel dazu aber mußte ich mir vom Schloßpförtner Vierkötter ausbitten. Als ich ihm mein Anliegen vortrage, mir mit hoher Genehmigung des Vorstands von Schloß Burg den Klavierschlüßel auszuhändigen, da zögerte er zuerst, übergibt ihn mir aber schließlich dennoch, aber mit einem vielsagenden Blick auf meine großen dicken Fäuste knüpft er die Mahnung daran: „Nicht wahr, Sie machen nix dran kaput!“ Ich habe ihn auch wirklich nix daran kaput
gemacht. Einstmals spielte ich auf dem Flügel, der im ersten Geschoß stand aus Wagners Tristan und Isolde. Nach unten hin, wo sich viele Kaffegäste befanden, mussten sich wohl einige Klänge, gedämpft, verloren haben. Genug, mitten im Spiel, klopft es an meine verschlossene Tür. Ich öffne sie u. vor mir steht der Kellner Wolff, der im Winter am Düsseldorfer Stadttheater als Chorist tätig war. Tränenden Auges bittet er mich, nicht Tristan, sondern etwas anderes zu spielen. Wie ich ihn wegen dieser Bitte groß anschaue, da erklärt er mir: „Sehen Sie, Sie haben soeben den Matrosenchor gespielt. Bei diesen Tönen habe ich auf die Musik hören müßen; ich habe mit den Kaffebrettern geschwankt, ich habe alles falsch serviert, ich habe mich bei der Rechnung überall vertan, ich glaube ich habe mich zu meinem Nachteil um wenigstens sieben Mark verrechnet!“ Als ich ihn nun frage, warum denn gerade der Matrosen-Chor diesen unheilvollen Einfluß auf ihn habe ausüben können, da erklärte er mir: “Diesem Chor habe ich unter Richard Wagner selbst in London gesungen. Es war an dem u. dem Tag!“ Seine Zeitangabe bestätigte sich, ich schlug in dem Buch von Fink nach (Rich. Wagner’s Leben u. Werke
im Spiegel der zeitgenössischen Kritik), das ich nach Schloß Burg von Düsseldorf mitgenommen hatte. Ich versprach ihm, solange noch Gäste anwesend wären, nicht weiter Tristan zu spielen. Nachher kam er mit der Bitte, als alle Gäste weg waren, doch noch einmal den Chor zu spielen. Ich tats. Da saß er nun in der dunkeln Erkernische und Tränen standen in seinen Augen. „Jene Zeit unter Rich. Wagner in London, das war die schönste Zeit meines Lebens“, so erklärte er seine Rührung und Ergriffenheit. – Als ich nun näher auf seine Stimmung einging, da erzählte er mir, auch er habe die Absicht gehabt, sich ganz der Bühne zu widmen. Wie fast alle Choristen hatte auch er geglaubt, daß er dazu berufen gewesen sei, wie ein Niemann, ein Gura als Stern am Wagner-Bühnenhimmel zu glänzen u. die Rolle des Tristan hatte es ihm besonders angetan. Wie war es so ganz anders gekommen: Statt des erträumten, golddurchwirkten Fürstenmantels umgab heut’ seine alten Glieder ein schlotternder, fettig-glänzender, alter Kellnerfrack; statt der berauschenden Wagner-schen Orchesterklänge, die seine Stimme gehoben u. getragen hätten, klirrten u. klapperten jetzt zu seiner heiser gewordenen Stimme die Messer, Gabel u. Teller, die er aufgetragen hatte; Statt von Isolde in höchster Liebesraserei mit den Worten:“ Endlos, Ewig höchste Liebeslust!“ angesungen zu werden, erklang heute an sein Ohr der herrische Wunsch:“ Kellner, ein Schnittchen Schweizer!“; statt ein Oberster in der Kunst zu werden, ist er nur ein „Ober“ geworden; statt die Erfüllung seines Traumes zu erleben, einst Tristan zu spielen, muss er nun an seinem Lebensabend zur Sommerzeit auf Schloß Burg Kellner spielen – Und ich verstand die Tränen in seinem Auge! –
[Karikatur „Deutschlands 9 Milliarden“]
[Karikatur „Unmittelbare Anfrage“]
[Gedicht „Dalldorfer Importe.“ / Humoristischer Text „Aus der Karwoche.“ / Karikatur „Die Schwindelgesellschaft“ / Gedicht „Krihksgedichte un Reddsel“ / Karikaturserie „Grey >erholt<sich.“]
[Karikatur „Wer hat den Krieg verschuldet?“ / Humoristischer Text „Erhabener Augenblick.“ / Humoristischer Text „Den einem sin Uhl is dem andern sin Nachtigall.“ / Humoristischer Text „Aus einem Feldbrief.“ / Humoristischer Text „Kriegsgericht.“ / Humoristischer Text „Welcher Unterschied…“ / Humoristischer Text „Russischer Druckfehler.“]
[Gedicht „Vor der Schlacht“ Handschriftlich von Spatz nachgetragen:] (Zu nebenstehendem Bild).
[Karikatur „Berühmte Muster“]
[Grafik]
[Gedicht „Stürmende Bayern“ Handschriftlich von Spatz nachgetragen:] (Zu nebenstehendem Bild).
[Karikatur „Frühling im Schützengraben“]
[Grafik „Stürmende Bayern“]
[Karikatur „Kriegsrat vor den Dardanellen.“]
576
[Karikatur „Englands schwerstes Geschütz.“]
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Düsseldorf (22. April 2015). 22. April 1915. 1914-1918: Ein rheinisches Tagebuch. Abgerufen am 11. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/cn2c